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Interviews wirken wie Bomben:Stadtdechant zu jüngsten Veröffentlichungen über Kölner Erzbischof

Die eingeleiteten Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft könnten einen Beitrag zur Transparenz leisten
Datum:
9. Nov. 2022
Von:
Stefan Schultz

„Die beiden aktuellen Interviews im Kölner Stadtanzeiger, das von Pater Prof. Ramers zur Übernahme der Theologischen Hochschule Sankt Augustin durch eine von Kardinal Woelki gegründete Stiftung und das der ehemaligen Mitarbeiterin der Personalabteilung im Kölner Generalvikariat, Hildegard Dahm, zum Umgang des Kardinals mit internen Informationen über die Missbrauchstäter sind überall im Erzbistum Köln wie Bomben eingeschlagen“, fasst der Theologe die ersten Reaktionen zusammen. Die Inhalte beider Interviews seien mit den bisherigen Auskünften des Kardinals über die sogenannte Woelki-Hochschule und seinen Aussagen darüber, wann und wie er persönlich über Missbrauchsfälle im Erzbistum informiert gewesen sei, nicht in Einklang zu bringen. „Bei vielen bleibt deshalb schiere Fassungslosigkeit und die verzweifelte Frage, wem und was man im Erzbistum Köln noch glauben kann“, so Bonns Stadtdechant. „Hier nimmt nicht nur erneut die Glaubwürdigkeit des Kardinals, sondern die der ganzen Kirche großen Schaden!“ Es sei davon auszugehen, dass dies spürbare und nachhaltige Auswirkungen auf die Atmosphäre im Kölner Erzbistum haben werde. „Ich denke, dass die Interviews die Arbeitsatmosphäre bei der Tagung des Diözesanpastoralrats am bevorstehenden Wochenende zusätzlich belasten werden.“ Nicht auszuschließen sei, dass es zu Protesten käme und Delegierte aus diesem Grund der Sitzung fernblieben. Die letzte Sitzung des wichtigsten Beratungsgremiums im Erzbistum hatte bereits nicht stattfinden können, weil die überwiegende Zahl der Mitglieder ihre Teilnahme abgesagt hatte

Interviewpartner erscheinen als „integre Zeugen“

Zu den Inhalten des beiden Interviews äußert Bonns Stadtdechant, dass diese Texte besonders deshalb hochbrisant seien, weil man die Integrität der sprechenden Personen kaum in Zweifel ziehen könne. Pater Ramers sei ein angesehenes Mitglied seines Ordens und ein profilierter Wissenschaftler. Zudem sei er als Hochschulrektor maßgeblicher Akteur bei der Überführung der Hochschule und damit Insider gewesen. Auch Hildegard Dahm habe als Assistentin des damaligen Personalchefs direkten Zugang zu Akten und Vorgängen gehabt. „Ihre Informationen stammen aus erster Hand. Ihre Motive wirken integer und sie scheint der Kirche sehr verbunden zu sein. Ihre Aussagen kann man nicht einfach übergehen oder entkräften“, bewertet der katholische Priester.

„Man fühlt sich wie im schlechten Film“

„Wenn man beide Interviews liest, kommt man sich vor wie in einem schlechten Film,“ so der promovierte Politikwissenschaftler weiter. Die meisten im Erzbistum Köln seien es leid, sich immer wieder mit neuen Enthüllungen und Skandalen auseinandersetzen zu müssen. „Man wünscht sich, dass das endlich ein Ende nimmt und das Erzbistum Köln wieder handlungsfähig wird. Und doch ahnen alle, dass es unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen immer so weitergehen wird. Das treibt zunehmend mehr Katholiken im Erzbistum Köln in Resignation und Fristration.“

Unversöhnbare Widersprüche

Stadtdechant Dr. Picken betont weiter, dass die Widersprüche zwischen den Interviewtexten und den offiziellen Darstellungen von Kardinal Woelki und dem Erzbistum Köln kaum deutlicher sein könnten. Kürzlich sei noch seitens des Erzbistums betont worden, die Kölner Hochschule für Katholische Theologie stünde in guter Verbindung mit dem vorherigen Träger, dem Orden der Steyler Missionare. Zudem sei der Orden weiterhin intensiv in das akademische Geschehen der „Woelki-Hochschule“ eingebunden. „Wenn aber nun von »feindlicher Übernahme« durch den Erzbischof und von »Lügen«, »falschem Spiel« und »Etikettenschindel« im Interview mit Pater Ramers die Redet ist, dann steht das im Gegensatz zur Darstellung des Kardinals. Von Einvernehmlichkeit und Harmonie zwischen Kardinal Woelki, seiner Hochschule und den Steyler Missionaren wird man hier beim besten Willen nicht sprechen können“, stellt Dr. Picken fest. Zudem seien viele von den Detailschilderungen des ehemaligen Hochschulrektors erschüttert. „Man möchte hoffen, dass sich vieles nicht bewahrheitet. Anderenfalls wären wir auf einem trostlosen Niveau des Geschäftsgebarens und des zwischenmenschlichen Umgangs angekommen“, so Dr. Picken.

Aufklärungsinteresse oder Desinteresse

Ähnliche Fassungslosigkeit erfasse viele bei den Schilderungen von Hildegard Dahm. „Bisher konnte Kardinal Woelki immer darauf verweisen, dass er die Aufklärung von sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln persönlich initiiert hat. Jetzt lesen wir, dass er sich kurz nach seinem Amtsantritt nicht einmal für eine erste Liste von bekannten Missbrauchstätern unter seinen Priestern interessiert haben soll. Das passt nicht zusammen und erschüttert die Glaubwürdigkeit der Aufklärungsbemühungen des Kardinals.“ Ähnlich verhalte es sich mit den Details, die Hildegard Dahm über den Fall des ehemaligen Sternsingerchefs, Prälat Pilz, geschildert habe. „Der Kardinal versicherte eidesstattlich, dass er erst im Sommer 2022 mit dem Fall Pilz befasst worden ist, während die Assistentin des ehemaligen Personalchefs jetzt behauptet, sie habe den Kardinal bereits 2015 durch die Vorlage einer Excel-Liste mit dem Fall P. befasst. Die Gegensätzlichkeit der Aussagen könnte nicht größer sein!“

„Kein Ausweg aus der Sackgasse“

Dr. Picken betont, dass es nun im Interesse des Kardinals und des Erzbistums liegen müsse, diese und viele andere gegensätzliche Informationen unverzüglich aufzuklären. Das werde nur durch vollständige Transparenz und vermutlich durch eine unabhängige Kommission möglich sein. Vielleicht könnten die jetzt eingeleiteten Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft dazu einen Beitrag leisten.

Grundsätzlich stelle sich aber jetzt bereits die Frage, ob die Wahrheit noch zu finden und der Schaden zu begrenzen sei. „Vermutlich gibt es für das Erzbistum Köln aus dieser Sackgasse keinen Ausweg, es sei denn der Papst findet ihn,“ resümiert Bonns Stadtdechant.