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Rücktritte als Voraussetzung für Neustart?:Stadtdechant: "Verbale Entschuldigungen allein reichen nicht aus"

Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken fordert gleiche Standards bei Fehlern von Bischöfen und Verantwortlichen
Datum:
10. Feb. 2021
Von:
Ayla Jacob

Erdrutsch im Deutschen Episkopat?

Wenn Bischöfe moralisch versagt haben, weil sie nicht konsequent gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt in der Kirche vorgegangen sind oder sich (wenn überhaupt) nur zögerlich von Tätern distanziert haben, sollten sie unverzüglich Konsequenzen ziehen – auch ein Rücktritt dürfe dann nicht ausgeschlossen sein: In dieser Bewertung ist Bonns Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken sich mit namhaften Vertretern der Bischofskonferenz, des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK) und auch mit dem Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, einig. Auf mehrfache Nachfrage zu seiner Forderung nach einheitlichen Standards im Umgang mit Bischöfen und anderen Verantwortlichen, die im Fall von Missbrauch durch Priester Fehler gemacht haben, äußert sich Dr. Picken über die mögliche Wirkung solcher Konsequenzen. „Würde beispielsweise der Kölner Erzbischof sich nach Vorlage des Gutachtens am 18. März 2021 genötigt sehen, den Rücktritt einzureichen, könnte das einen Erdrutsch im deutschen Episkopat zur Folge haben.“

Gleichbehandlung bei Fehlern von Bischöfen und Verantwortlichen

Kardinal Woelki hatte angekündigt, dass im Fall nachgewiesener Verfehlungen auch für ihn persönlich ein Rücktritt nicht auszuschließen wäre. Derzeit steht der Erzbischof vor allem in Zusammenhang mit zwei Fällen in der Kritik. So soll der Fall eines Priesters des Erzbistums Köln laut eines Zeitungsberichts erst 2018 zur Anzeige gebracht worden sein – vier Jahre, nachdem dieser seinen wiederholten Missbrauch verschiedener Kinder gestanden hatte. In der anderen Causa hat sich Rom zu Wort gemeldet. Trotz der Erklärung des Vatikans, dass die fehlende Meldung des Kardinals an den Heiligen Stuhl zu den Vorwürfen gegen einen Priester des Erzbistums nicht als Rechtsverstoß zu bewerten sei, bleiben jedoch Forderungen nach dem Rücktritt im Raum, auch wegen des „unprofessionellen Krisenmanagements“ in seiner Erzdiözese. Dieselben Konsequenzen werden auch von Erzbischof Dr. Stefan Heße verlangt. Ihm wird zur Last gelegt, er habe als Kölner Generalvikar im Fall des Missbrauchs durch einen Priester die Protokollierung belastender Aussagen unterbunden – was Heße zurückweist. Beide Erzbischöfe sahen sich durch den öffentlichen Druck veranlasst, den Papst um Klärung zu ersuchen. 

Bonns Stadtdechant fordert nun Bischöfe und Laien auf, die in diesen beiden Fällen Rücktrittsforderungen stellen, dies auch bei allen vergleichbaren Fällen zu tun: „Eine deutsche Kirche, bei der man auf öffentlichen Druck in den einen Fällen mutmaßlicher Vertuschung mit Rücktrittsforderungen reagiert, sich aber in den anderen Fällen wegduckt, weil diese weniger skandalisiert werden, macht sich moralisch unglaubwürdig. Mit Blick auf die Konsequenzen müssen überall dieselben Maßstäbe zur Anwendung kommen“, sagt Picken. Eine entsprechende Gleichbehandlung aller Verantwortlichen, denen Fehler im Umgang mit dem Missbrauch nachgewiesen sind, könnte jetzt bereits Auswirkungen auf andere Deutsche Bischöfe haben. „Ein Versagen wie beispielsweise bei den Bischöfen Franz-Josef Overbeck oder Franz-Josef Bode, durch die Missbrauchstäter nachweislich weiter als Priester zum Einsatz kamen, wäre vergleichbar zu bewerten.“ Auch im Fall des Aachener Altbischofs, Dr. Heinrich Mussinghof, dem im Gutachten für das Bistum Aachen schwere Fehler nachgewiesen wurden, warte man vergeblich auf Konsequenzen. 

Verantwortung von Bischöfen als Belastung für synodalen Weg in Deutschland

Keinesfalls dürfe Anlass für den Verdacht gegeben werden, so der Bonner Stadtdechant, dass eine reformorientierte Haltung beim Synodalen Weg begründe, dass einzelne Bischöfe verschont blieben. „Eine Ungleichbehandlung der Verantwortlichen wäre eine Kränkung der Opfer und würde die Reformen des Synodalen Weges angreifbar machen.“ Es sei schwer nachzuvollziehen, wieso der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und ZdK-Vizepräsidentin, Dr. Claudia Lücking-Michel, sich anders als im Fall von Kardinal Woelki weder schriftlich noch mündlich zu den Verfehlungen der Bischöfe Bode und Overbeck geäußert und von ihnen Konsequenzen eingefordert hätten. Beide gehören mit Bischof Bätzing und Lücking-Michel dem Präsidium des Synodalen Weges an. Bischof Bode ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Bischofskonferenz.

Es braucht einheitliche Standards bei Vergehen von Bischöfen und Verantwortlichen –

„Verbale Entschuldigungen“ reichen als Konsequenz nicht aus

Überall müssten unabhängig vom Ansehen der Person oder der theologischen Überzeugung die vermeintlichen Fehler der Verantwortlichen nach denselben Kriterien bemessen und vergleichbar beurteilt werden. „Es kann nicht sein, dass lediglich Konsequenzen beschworen werden“, so der Bonner Stadtdechant. „Es wäre ein Skandal mit verheerender und unabsehbarer Wirkung, wenn teure Gutachten Vertuschungen und Fehlentscheidungen aufdecken und nichts passiert.“ Das, so ist Picken sicher, „werden uns die Gläubigen nicht verzeihen“. Darüber hinaus müsse thematisiert werden, welche Konsequenzen überhaupt gezogen werden sollten. Bislang nämlich spräche jeder von „den Konsequenzen“, welche das sein sollten aber bleibe unbeantwortet im Raum stehen. 

Es sei geboten, dass die Deutsche Bischofskonferenz zu Standards finde, wie mit den Verfehlungen von Verantwortlichen umzugehen sei. Dabei könnten Konsequenzen von einer Zahlung in einen Opferfonds bis zum Rücktrittgesuch an den Papst reichen. Allerdings müsse klar sein, dass im Kontext von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen ein Schuldeingeständnis und eine öffentliche Verzeihungsbitte verbunden mit der Zusicherung, aus den Fehlern gelernt zu haben, nicht ausreichend sei. Denn: Klare und schonungslose Konsequenzen seien der einzige Weg, um die Glaubwürdigkeit der Kirche in Deutschland wieder herstellen zu können, ist sich Bonns Stadtdechant sicher. „Wenn die katholische Kirche in Deutschland eine Zukunft haben möchte, wird es anders nicht gehen. Es könnte sein, dass für einen glaubwürdigen Neubeginn auch der Rücktritt von Bischöfen notwendig ist“, so Picken. 

Bischöfe müssen freiwillig Verantwortung übernehmen

Krise des bischöflichen Amtes in Deutschland

Vor allem aber sei gefordert, dass Bischöfe und Verantwortliche, „die um ihre Fehler wissen, aus eigenem Antrieb und in Verantwortung für die Kirche ihre Konsequenzen ziehen, bevor sie Gutachten oder eine mediale Öffentlichkeit dazu zwingen“. Geschehe dies nicht, werde es in den kommenden Jahren im Zuge der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs immer wieder Skandale und öffentliche Rücktrittsforderungen geben, „die die Glaubwürdigkeit der deutschen Kirche stets aufs Neue erschüttern und jede Reformbemühung verpuffen lassen“. Es sei notwendig, mit klaren Konsequenzen dort anzusetzen, wo Verantwortliche ein System des Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen vertuscht oder sogar ermöglicht hätten. Damit setze man im Übrigen da an, wo viele den Ursprung des Problems sähen: „Viele Gläubige haben keinen begründeten Zweifel an ihren Priestern vor Ort. Stattdessen herrscht berechtigte Empörung hinsichtlich des Versagens ihrer Bischöfe und Ordinariate.“ Man könne in Deutschland mit Recht bereits von einer Krise des bischöflichen Amtes sprechen.