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„Der Mensch wird immer mehr zum Autisten der Schöpfung!“ :Stadtdechant mahnt zur Nachhaltigkeit - Lockdown zugunsten der Schöpfung?

Im letzten Abendgebet mit Themenpredigt, dass die Bonner Stadtkirche in Kooperation mit #DABEI, dem Fernsehsender der Deutschen Telekom, an diesem Sonntag aus St. Remigius ausgestrahlt hat, predigte Bonns Stadtdechant, Dr. Wolfgang Picken, über „Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. 
Datum:
28. Juni 2020
Von:
Melanie Eimermacher

Im letzten Abendgebet mit Themenpredigt, dass die Bonner Stadtkirche in Kooperation mit #DABEI, dem Fernsehsender der Deutschen Telekom, an diesem Sonntag aus St. Remigius ausgestrahlt hat, predigte Bonns Stadtdechant, Dr. Wolfgang Picken, über „Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. 

Dr. Picken griff zu Beginn seiner Ansprache auf die apokalyptischen Bilder der Heiligen Schrift zurück, die von Dürren und Hungersnöten sprechen und vom Ende der Zeiten handeln. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen ökologischen Probleme besäßen diese Bilder eine verblüffende Aktualität: „Diese apokalyptischen Bilder der Heiligen Schrift zeigen eine erschreckende Parallelität zu den Zukunftsperspektiven, die uns Ökologen und Umweltaktivisten seit Jahren als Folgen des Klimawandels vor Augen halten.“ Viele wissenschaftliche Untersuchungen und politische Appelle entwürfen ähnliche Schreckensbilder. Im Matthäusevangelium spräche Jesus davon, dass von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, die Flut einen mitnimmt und einen zurücklässt.
Der klimatische Wandel mache Ähnliches fast wahrscheinlich: Eine radikale Reduktion der Bevölkerung. Unweigerlich würden die Erinnerungen an die Bilder der letzten beiden Sommer geweckt. An vertrocknete Felder und katastrophale Missernten, an sterbende Wälder und verheerende Brände. „Auch in diesem Jahr werden sich diese Bilder wiederholen, wenn die Prognosen zutreffen.“ Das werfe die ernsthafte Frage auf: „Wie wird man bei einer Verknappung der Ressourcen die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sicherstellen? Wie viele werden durch die Folgen des Klimawandels zusätzlich verhungern? Von zweien einer?“
Auch die biblischen Visionen von gefahrvollen Fluten seien bedrängend aktuell. Namhafte Wissenschaftler berechneten für den Zeitkorridor der nächsten 100 Jahre weltweit den Untergang aller Küstenregionen. Sie könnten durch den Anstieg des Meeresspiegels im Wasser versinken. Viele Inselwelten in Amazonien oder Ozeanien, auch die in Mittelmeer, in Nord- und Ostsee könnten vollständig verschwinden. „Juist, Wangerooge, Sylt und Rügen, ganze Regionen der Niederlande, würde man dann in zwei Generationen vergeblich auf den Landkarten suchen.“ Das habe existenzielle Konsequenzen auch für alle Küstenstädte: „Kein Hamburg mehr, kein Kiel, kein Venedig, kein Neapel, kein London, kein New York. Jedenfalls nicht so, wie wir diese Städte gegenwärtig kennen.“

Bonns Stadtdechant mahnte, diese Prognosen ernst zunehmen. Er betonte, dass die Gefahren des Klimawandels nur von denen bestritten würden, deren Verstand vernebelt sei. Zwar seien bei den Voraussagen nicht alle technischen Entwicklungsmöglichkeiten einbezogen. Aber es seien keine Erfindungen zu erwarten, die eine mit „dieser Kraft fortschreitende Entwicklung aufhalten könnten.“ Die Nervosität der jungen Generation, die sich mit der Friday-for-Future Bewegung vor Monaten noch auf den Straßen bei Demonstrationen Luft verschafft hätte, und die Appelle vieler Engagierter in den öffentlichen Debatten hätten aufgerüttelt und dazu geführt, dass die Ernsthaftigkeit der Lage kaum mehr bestritten würde. „Die meisten dürften intellektuell verstanden haben, dass es so wie bisher unmöglich weitergehen kann.“ Es sei allerdings die Frage, ob die Menschheit bereit sei, aus dieser Analyse Konsequenzen zu ziehen und radikale Veränderungen einzuleiten. Durch der Coranakrise hätten sich nun andere Probleme in den Vordergrund gedrängt. Mit Billiarden schweren Rettungspaketen würde versucht, weltweit die Wirtschaft anzukurbeln. Die dafür verwendeten Ressourcen könnten an anderer Stelle, auch beim Einsatz für Nachhaltigkeit und Klimawandel fehlen. Auch sei zu befürchten, dass ein so provoziertes Wirtschaftswachstum zu Lasten der Umwelt gehen könne.

Bonn Stadtdechant äußerte die Befürchtung, dass erst ein noch bedrohlicheres Fortschreiten der Entwicklungen die Menschheit zum Innehalten bewegen werde: „Wir werden vielleicht erst entschlossen handeln, wenn uns im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser bis zum Hals steht.“ Es sei nicht unwahrscheinlich, dass beschwichtigende Worte, ermüdende Debatten und ein Bombardement an Bedenken in den kommenden Jahren jede notwendige Veränderung im Keim ersticken könnten. Stattdessen sei es aber vermutlich längst an der Zeit für eine Art „Lock-Down“ zugunsten der Schöpfung. „Denn, was mit dem Klimawandel und der Erschöpfung der Ressourcen auf uns zukommen könnte, dürfte um ein vielfaches schlimmer sein, als das, was wir in der Coronakrise erleben.“ Folglich brauche es sehr unmittelbar eine grundsätzlichere Infragestellung des modernen Lebensentwurfes und einer funktionalen, teils egozentrischen Sicht auf die Schöpfung.

Die Fortschrittsgesellschaft glaube daran, so führte der Stadtdechant weiter aus, dass sie der Welt neue Gesetzmäßigkeiten vermitteln könne. Sie sehe es nicht mehr als nötig an, im Einklang mit der Schöpfung zu leben. Auch habe sie Gott und eine größere Wahrheit weitgehend abgeschafft. Die Rechenschaftspflicht gegenüber Gott, die noch in die Präambel der Deutschen Verfassung Eingang gefunden habe: „In der Verantwortung vor Gott und den Menschen,“ heiße es da, sei für die meisten bedeutungslos geworden. In der Folge verstehe sich der moderne Mensch „als autonomes Wesen, ohne wahrzunehmen, dass er sich im Zuge dieser Entwicklung immer mehr zum Autisten“ entwickelt hat.

Bonns Stadtdechant betonte, dass die Hinweise der Heiligen Schrift und die Zeichen der Zeit, auf eine verlorengegangene Grunderkenntnis verwiesen, mit der die Existenz der Welt und der Menschheit verknüpft sei:
„Es geht nicht ohne Gott. Der autonome Mensch wird am Ende in der Welt, die es sich selbst schafft, untergehen.“ Die biblischen Bilder von der Flut in den Zeiten des Noach oder den Folgen des Turmbaus zu Babel verdeutlichten dies. Dem Menschen sei seine Vernunft nicht gegeben, um sich selbst neu zu erfinden oder die Welt neu zu erschaffen. „Wir können sie nur mit Hilfe der vorgegebenen Gesetze der Schöpfung durchdringen, nutzen, aber wir müssen im Einklang mit ihr unser Leben entwerfen, wenn wir auf lange Sicht überleben wollen.“ In diesem Sinne sei die Zeit für eine „Zweite Aufklärung“ reif, die Gott und seinem Wort wieder einen Platz in der modernen Welt zugestehe. Voraussetzung dafür sei aber, dass der Mensch etwas wiederentdecke, was er vergessen habe: Die Demut!

Dr. Picken resümierte, dass die Menschheit vor der Krise der Moderne stehe. Die Klimakatastrophe, der soziale Kollaps nud die seelische Verelendung seien alarmierende Symptome für dasselbe Phänomen. Die Welt sei erschöpft, und die Lebensverhältnisseu seien verrückt. Es brauche deshalb den mutigen Hinweis auf größere Zusammenhänge, und unter allen Menschen den Respekt, den das Alten Testament und die Worte Jesu vor jedem einzelnen Geschöpf vermittelten. „Von dieser aus einer Glaubensüberzeugung erwachsenen Haltung bräuchte es gerade nicht weniger, sondern mehr.“ Entsprechend sei der christliche Glaube das lebensrettende Programm für die moderne Welt.

Abschließend mahnte Dr. Picken seine Kirche, der Aufforderung von Papst Franziskus und dem biblischen Auftrag Taten folgen zu lassen und im Einsatz für die Schöpfung Entschiedenheit zu zeigen. Die Kirche sei stattdessen hierzulande viel zu sehr mit ihrer eigenen Krise beschäftigt. „Wir dürfen als Christen der Gesellschaft nicht schuldig bleiben, was sie jetzt zu ihrer Heilung benötigt. Wir haben Verantwortung für die Welt in der wir leben und dafür, dass die Lebensgrundlage kommender Generationen erhalten bleibt.“ Dr. Picken hob schließlich hervor, dass die Wiederentdeckung dieses Auftrags, die Kirche und die Christenheit mit neuem Leben erfüllen und ihr wieder einen Platz in der Welt zuweisen dürfte. Auch gegenüber der jungen Generation könne die Kirche so unter Beweis stellen, dass der Glaube an Christus Bedeutung für das Leben und Überleben der Menschheit habe.