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Podcast zum Thema "Kölner Kirchenkrise":Stadtdechant befürchtet "Schaden ungekannten Ausmaßes"

In seinem Podcast analysiert Bonns Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum Köln und fordert eine deutliche Positionierung der Bistumsleitung
Datum:
9. Mai 2021
Von:
Ayla Jacob

Die Missbrauchskrise erschüttert seit einigen Jahren die katholische Kirche, in der medialen Berichterstattung steht vor allem die Kölner Erzbistumsleitung in der Kritik – vor allem mit Blick auf die Beförderung von Priestern, die als Missbrauchstäter bekannt waren. In seinem Podcast „Spitzen aus Kirche und Politik“ widmet sich Bonns Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken unter dem Titel „Kölner Kirchenkrise“ der Missbrauchskrise, dem damit einhergehenden Vertrauensverlust, der Aufklärung und dem Umgang der Kirche damit.

Dass die Glaubwürdigkeitskrise auf einem (erneuten) Tiefpunkt angekommen sei, sei an verschiedenen Faktoren ersichtlich: „Die Zahl der Kirchenaustritte in der Kölner Kirche befindet sich auf einem historischen Hoch, der Vertrauensverlust verschärft sich stetig“, sagt Picken. Viele Aktive in den Kirchengemeinden – darunter Vertreter diözesaner Laiengremien – stünden mittlerweile vor der Frage, ob sie sich weiter engagieren möchten. Auch wenn offiziell nichts bekannt sei, sei damit zu rechnen, dass es unter Geistlichen und kirchlichen Mitarbeitern nicht anders aussehe. Es werde deutlich, „dass die gegenwärtige Krise sich bis in die letzten Winkel der Kölner Kirche vorgearbeitet hat“. So könne es nicht weitergehen. „Es braucht eine Reaktion und eine Strategie, die geeignet ist, die Blockade zu lösen und den Weg für ein konstruktives und vertrauensvolles Miteinander freizugeben“, findet der Stadtdechant klare Worte.

Die Frage sei, was die Krise so verschärft habe 

Stelle sich die Frage, was die Krise so verschärft habe, „nachdem es zunächst so schien, als sei mit der Vorlage des Gercke-Gutachtens über die Verantwortung der Verantwortlichen im Missbrauchsskandal, mit der Beurlaubung von drei Mitglieder der Bistumsleitung und einem Handlungskatalog Entspannung eingetreten“. Die Medienberichterstattung, so Picken, sehe Hinweise darauf, dass der Kölner Erzbischof mindestens in einem Fall wissentlich einen Missbrauchstäter in ein wichtiges Vertrauensamt berufen habe. „Die Reaktion des Erzbistums, dass der Fall bereits im vorgelegten Gutachten öffentlich gemacht und deshalb nicht neu sei und dem Kardinal hier keine Pflichtverletzung vorgeworfen wurde, wirkt wenig schlüssig“, so Bonns Stadtdechant. „Denn die Frage, ob Missbrauchstäter durch Beförderung begünstigt wurden, ist ausdrücklich keine Fragestellung des Gutachtens gewesen und nicht als mögliche Pflichtverletzung untersucht worden.“

Daher sei es – gerade mit Blick auf Strukturen der Vertuschung und Muster des Fehlverhaltens – verständlich, dass nachgefragt werde, ob es neben fehlender Konsequenz gegen den Missbrauch auch die Beförderung von Tätern gegeben habe. „Die in einem Interview des WDR getätigte Aussage des Kölner Generalvikars, Markus Hofmann, dass man bei dem genannten Pfarrer zwar von einem gestandenen Missbrauchsfall gewusst habe, dieser aber nicht strafrechtlich verfolgt wurde und der Täter Reue gezeigt habe und man sich deshalb entschieden habe, ihm eine Chance zu geben, lässt viele rat- und sprachlos zurück“, stellt Picken fest. Der Missbrauch von Minderjährigen liege fast immer in der Persönlichkeitsstruktur begründet, das lerne man jedenfalls bei Präventionsfortbildungen, „weshalb der Ausdruck des Bedauerns und der Reue auf Seiten des Täters wenig weiterhilft“. 

Fehlende Strafverfolgung spreche nicht von moralischer Verantwortung frei 

Auch spreche eine fehlende Strafverfolgung nicht von einer moralischen Verantwortung frei oder rechtfertige, Kinder und Jugendliche weiterhin dem Risiko eines Übergriffs auszusetzen. „Dass man einen Missbrauchstäter jahrelang weiter leitend in der Gemeindeseelsorge als Pfarrer tätig sein lässt, ist schon schwer verständlich, dass man ihn aber wissentlich zum kirchlichen Repräsentanten der Landeshauptstadt gemacht haben könnte, würde eine neue Dimension der Fehlverhaltens markieren“, so Picken über den derzeit in den Medien präsenten Fall des stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten D. 

„Die verteidigenden Hinweise, dem Erzbischof sei bei der Personalentscheidung zwar der Kontext bekannt gewesen, aber ihm habe die Personalakte nicht vorgelegen, darf irritieren.“ Es sei nicht nachvollziehbar, dass leitende Positionen besetzt würden, ohne sich mit den Akten zu befassen, „zumal wenn Zweifel an der Person bestehen“. Dass man schließlich diese Entscheidung getroffen habe, weil es der ausdrückliche Wunsch des Stadtdechanten war, Pfarrer D. als Stellvertreter zu haben, „lässt viele dann gänzlich fassungslos zurück, weiß man doch, dass auch der als Missbrauchstäter bekannt war, bevor wenig zuvor das Amt des Stadtdechant übernahm“, so Picken. 

Es könnte ein bleibender Schaden ungekannten Ausmaßes entstehen

„Scheinbar scheint noch nicht verstanden worden zu sein, dass es berechtigte Anfragen an den Umgang mit Verantwortung in der Bistumsleitung und damit auch Fragen gegenüber dem Kölner Kardinal aufwirft, wenn es zu Beförderungen von Priestern gekommen ist, die als Missbrauchstäter bekannt waren und bei denen es immer wieder – so zeigt es die Aktenlage – Hinweise darauf gegeben hat, dass diese Neigung sich weiterhin aktiv ist“, stellt Bonns Stadtdechant fest. Dass Täter bestraft werden müssten und als Priester nirgendwo mehr eingesetzt werden könnten. Genau wie die Tatsache, dass man Priester, „die sich an Minderjährigen sexuell vergangen haben, nicht zu Vorbildern und Repräsentanten der Kirche machen kann“. Dass das nicht sofort eingesehen und entsprechend reagiert werde, erkläre die gegenwärtige Empörung und die Vertiefung der Krise.

Entsprechend werde es unumgänglich sein, auf den Vorwurf zu reagieren „und darüber nachzudenken, wie man dazu steht, wer hier moralische Verantwortung übernehmen muss und wie das zu geschehen hat. Und schließlich, wie man sicherstellen will, dass Missbrauchstätern der Zutritt zur innerkirchlichen Karriereleiter versperrt bleibt“, stellt Picken fest. „Wenn die Bistumsleitung dazu nicht schnell eine Haltung entwickelt und die Argumentation des Generalvikars revidiert, auch zu klaren Konsequenzen bereit ist, dann steht zu befürchten, dass sich die Krise festsetzt und weiter verschärft.“ Das Mindeste sei es, deutlich zu machen, dass es bei bestehender Aktenlage ein Fehler gewesen sei, „den Mann zum stellvertretenden Stadtdechanten zu ernennen“. Geschehe nichts, entstehe ein bleibender Schaden „ungekannten Ausmaßes für das Erzbistum Köln und die Kirche in Deutschland“.