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Predigtreihe "Geschunden":Die Predigt zum vierten Fastensonntag

Den Text der Predigt des Bonner Stadtdechanten finden Sie hier zum Nachlesen und zum Download.
Datum:
15. März 2021
Von:
Ayla Jacob

Liebe Brüder und Schwestern,

„Geschunden“, das ist das Leitwort unserer diesjährigen Predigtreihe. Wir stellen uns einer Fragestellung, die nicht einfach und sehr herausfordernd ist, auch unangenehm sein kann. Im Blick sind unsere persönlichen Erfahrungen mit den Grenzen unserer Leistungs- und Leidensfähigkeit. Das ist kein Thema, dem wir uns gerne stellen. Solche Gedanken liegen aber nahe, wenn man auf das Kreuz schaut. Es zeigt einen Menschen, der am Ende einer beispiellosen Quälerei den Tod findet.

In der Sprache unseres Glaubens sagen wir, er sei diesen Weg für uns gegangen, um durch dieses düstere Geschehen, das im Kreuz seinen Abschluss findet, die Nähe Gottes bis an die Grenzen unseres Lebens und die Tiefpunkte unserer Existenz herzustellen. Der solidarische Gott, der uns in den Augenblicken, in denen wir uns geschunden fühlen, vom Kreuz aus glaubhaft und tröstlich zuspricht, was er bereits Moses im brennenden Dornbusch übermittelt hat: JHWH. Ich bin da. Nähe und Verständnis hinein in die Erfahrungen, die uns alles abverlangen und mit Zumutungen konfrontieren, die sich kaum aushalten lassen. Die glaubhafte Präsenz Gottes, die unser Schicksal teilt und uns vor Verzweiflung bewahren will, wenn wir uns „geschunden“ fühlen.

Das Leid am Kreuz kennt viele Gründe, wie auch alles das, was unser Leben zuweilen schwer erscheinen lässt. Maßgeblich ist, dass es Menschen sind, die Jesus systematisch vor sich hertreiben und ihm keine Chance lassen, dem vorgefertigten Urteil zu entkommen. Die Leidensgeschichte liest sich wie ein Konzentrat menschlicher Niedertracht und Gemeinheit. Fast meint man, die Beteiligten ließen nichts aus, was einen anderen beschweren kann und ihn in der Summe vorherberechenbar an die Grenzen des Erträglichen führen muss. Am Ende wird, wenn man das Kreuz näher betrachtet, kein anderes Urteil übrigbleiben, als dass er an menschlicher Bosheit zugrunde gegangen ist. Geschunden vom Menschen.

Wie oft wenden wir uns wütend und verzweifelt gegen Gott, weil er uns nicht vor Unheil und Not bewahrt, auch weil unser Leben den Tod kennt. Wir machen ihn gerne verantwortlich, weil er zulässt, was uns quält und belastet. Wir stellen dann die berühmte Frage nach dem „Warum“. Sie begegnet mir immer wieder, weil das priesterliche Leben mich so oft in Situationen führt, in denen Menschen in Notlagen getrieben sind. Ich staune oft, in welch vielfältigen Ausformungen und Variationen das Leben für Menschen Not und Schwere bereithält. Manchmal denke ich mir, mit der Zunahme von Lebensjahren müsste es mir vertrauter werden, aber ich bin immer wieder aufs Neue überrascht. Die Not hat unendlich viele Gesichter.

Warum? Eine Frage im Übrigen, die auch mir immer wieder auf der Seele liegt  und unter den Nägeln brennt. „Aber wer hat aus dem Holz das Kreuz geformt, wer die Dornenkrone auf den Kopf geschlagen, wer die Nägel in die Hände getrieben?“ Die vor Jahren gestellten Fragen meines geistlichen Begleiters weisen darauf hin, dass die Schinderei am Kreuz, auf die wir blicken, Menschenwerk ist. Er ist „Geschunden von Menschen“. Diese bittere Erkenntnis lässt uns in einem Kirchenlied singen: „Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last. Ich, ich hab es verschuldet, was Du getragen hast.“

Die Frage nach dem Warum,  die wir schnell an Gott stellen, müssten wir oft zuerst an den Menschen richten. Warum tust du das? Warum lässt du dich von Hass und bösen Absichten, von Neid und Gier treiben. Warum rührt dich nicht, was du verursachst? Warum siehst du nicht, dass du den anderen in die Krise treibst, schindest, quälst ?Wenn wir diesen Gedanken zulassen, dann sind wir schnell und unweigerlich bei den eigenen Erfahrungen, die wir mit Menschen sammeln mussten. Viele Begebenheiten des Lebens und nicht wenige Etappen unserer Biographien sind gefüllt von Beispielen dafür, wie Menschen Menschen schinden, wie andere Menschen uns das Leben schwermachen. Keine Frage: Wir bieten oft Anlass für Widerstand und Reaktion, fraglos auch, dass wir selbst Fehler machen und Verletzungen von uns ausgehen. Aber die Aggression, der man zuweilen ausgesetzt ist, kann üble Züge annehmen und heftig eskalieren. Wenn du den falschen Menschen in die Finger kommst, dann – und dieser Ausspruch ist bezeichnend –  dann „Gnade Dir Gott.“

Die Fantasie und der Variantenreichtum des Bösen ist unerschöpflich. Ausgeschlossen ist deshalb oft, vorher zu ahnen und sich auf das einzustellen, was sich andere einfallen lassen. Manchmal meint man fast, das Böse hätte eine eigene Logik und Systematik .Erstaunlich auch, wie es gelingt, andere Menschen, oft auch Unbeteiligte, dafür zu vereinnahmen. Wenn man Pech hat, macht es den Eindruck ,als habe sich alles gegen einen verschworen und seien die anderen erst zufrieden, wenn man vollständig geschunden und niedergestreckt ist.

Das gibt es im Kleinen in der Familie und im Freundeskreis, wo es vielleicht am meisten überrascht, weil man es dort nicht vermuten würde. Manches wirkt wie ein Thriller. Das gibt es am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld, wir nennen das heute Mobbing oder Basching. Wer davon betroffen ist, kann einen wahren Horror erleben. Im Übrigen keine Sondererfahrung der erwachsenen Welt. Viele Kinder und Jugendliche sind dem bereits in einer Brutalität ausgesetzt, die kaum steigerungsfähig erscheint.

Schließlich wäre da noch die Öffentlichkeit, der Schlagabtausch im gesellschaftlichen und medialen Raum. Was sich hier an Untiefen menschlicher Niedertracht und Niveaulosigkeit auftut die verbale Gewalt, die keine Grenzen kennt, und das Kesseltreiben, dass nur die Kapitulation als Ergebnis anerkennt, sind geeignet, Menschen zu vernichten. Dramatisch obendrein, wenn sich politische Extreme dieser Methodik bedienen.

Wir leben in Deutschland im äußeren Frieden und in gesicherter Rechtsstaatlichkeit, aber unter uns geht es nicht selten zu wie im wilden Westen. Heute nun reden wir nicht von anderen, wir sprechen von uns. Heute reden wir nicht davon, Täter zu sein, heute ist an die Momente gedacht, wo wir selber Opfer waren oder vielleicht gerade sind: Geschunden von Menschen.

Als Seelsorger wüsste ich viele Beispiele anzufügen, von anderen und auch von mir selber. Erfahrungen mit der Finsternis, von der im Evangelium die Rede war und die wir Menschen manchmal mehr zu lieben scheinen als das Licht. Sie sind geeignet, uns das Vertrauen in den Menschen zu nehmen, manche fühlen sich wie traumatisiert. Einmal von Menschen geschunden, kann es schwerfallen, sich davon zu erholen und sich wieder auf andere einzulassen. Es gibt ernstzunehmende Wissenschaftler, die behaupten, dass das zunehmende Phänomen von Singledasein und Einsamkeit nicht zuletzt darin seine Ursache findet: In der Leid- und Verletzungsgeschichte, die viele Menschen mit Menschen haben.

„Geschunden sein von Menschen“, diese Erfahrung verbindet uns. Wenn wir uns so ehrlich machen vor Gott und uns unter dem Kreuz einfinden, heißt das für mich in der Verlassenheit und Not nicht einsam zu bleiben, „Ich bin da und fühle mit dir!“ Es heißt auch zu hören – darauf verwies mein geistlicher Begleiter gerne – wie der Gekreuzigte spricht: „Herr rechne ihnen diese Sünde nicht an.“ Das kann helfen, nicht bitter zu werden und die Liebe nicht aufzugeben. Schließlich heißt es zu ahnen, dass die Schinderei enden und sich verwandeln wird. Mir ermöglicht es dann, aufzustehen und mich dem Leben weiter zu stellen.