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Unabhängiges Missbrauchtsgutachten:Bonns Stadtdechant fordert weitere Konsequenzen

Dr. Wolfgang Picken reagiert auf unabhängiges Missbrauchsgutachten: „Mitempfinden mit den Opfern, Forderung nach deutlichen Konsequenzen“
Stadtdechant Dr. Picken
Datum:
18. März 2021
Von:
Ayla Jacob

Bonns Stadtdechant, Dr. Wolfgang Picken, äußert sich tief betroffen über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen und dessen Vertuschung im Erzbistum Köln. „Die Zahlen der Missbrauchsopfer und das beschriebene Leid verpflichten die Kirche von Köln zuerst zum Mitempfinden mit den Opfern. Sie wurden Opfer von Gewalt und mussten zudem oft jahrzehntelang erleben, dass kirchliche Obere die Täter schützten und sie als Opfer missachteten. Deshalb ist es jetzt zuerst geboten, allen Opfern unkonventionell und großzügig zu helfen, wo immer sie Unterstützung benötigen“, sagt er. Es müsse nach der umfangreichen Feststellung fehlender Opferfürsorge auch infrage gestellt werden, ob die gegenwärtig üblichen Zahlungen und Unterstützungsleistungen hinreichend seien.

Unmissverständliche Klarheit und Transparenz
„Kardinal Woelki löst Versprechen schonungsloser Aufklärung und personeller Konsequenzen ein“

Die Qualität des Gutachtens von Prof. Gercke setze augenscheinlich neue Maßstäbe. Die unmissverständliche Klarheit und Transparenz des Gutachtens lasse nicht zu, den oft geäußerten Vorwurf gegen Kardinal Woelki aufrecht zu erhalten, er habe dieses Gutachten neu in Auftrag gegeben und das im Herbst fertiggestellte nicht veröffentlichen lassen, um Verantwortliche zu schützen. „Er hat die Zusage eingehalten, dass die entsprechenden Namen und Fehler schonungslos genannt werden“, so Bonns Stadtdechant. Auch habe er nicht gezögert, mit der vorläufigen Entpflichtung von Weihbischof Dr. Dominikus Schwaderlapp und Offizial Dr. Günter Assenmacher personelle Konsequenzen zu ziehen. „Kardinal Woelki hat sein Aufklärungsinteresse und seine Bereitschaft zur Konsequenz nachgewiesen. Ihm ist dafür Dank zu sagen, dass er trotz vieler gegenteiliger Unterstellungen den Mut und die Geduld aufgebracht hat, die für eine transparente Aufklärung nötig waren und sind“, resümiert Dr. Picken. 

Verantwortliche sind mitschuldig an Wiederholungsfällen
„Wie konnte man Gewalt an Kindern tolerieren“

Mit Blick auf die benannten Verantwortlichen sei erschreckend, dass man ausgerechnet im Raum der Kirche über eine so gravierende Form des Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen fast regungslos hinweggehen konnte. „Ich verstehe nicht, wie Bischöfe und Prälaten, die Priester sind, Theologie studiert haben und Moral predigen, die sexuelle Misshandlung von Minderjährigen tolerieren und die Täter wieder im priesterlichen Dienst einsetzen konnten.“ Insbesondere den Verantwortlichen in den zurückliegenden 20 Jahren sei bekannt gewesen, dass sexueller Missbrauch in der Primärpersönlichkeit begründet liege und nicht einfach „wegpsychologisiert“ werden könne. „Dass Generalvikare, Personalverantwortliche und auch Bischöfe, Missbrauchstäter wieder zum Einsatz gebracht haben, hat erneute Taten ermöglicht. Das macht die handelnden Personen in gewisser Hinsicht zu Mitverantwortlichen vieler Wiederholungsfälle“, so Bonns Stadtdechant weiter. „Wer solche Gewaltverbrechen bagatellisiert und eine Wiederholung ermöglicht hat, hat seine moralische Autorität verwirkt und kann unmöglich weiter an der Leitung der Erzdiözese Köln Anteil nehmen“, ist sich der Theologe sicher.

Moralische Schuld fordert auch von Erzbischof Heße moralische Verantwortung
„Auch Mitwissen und Schweigen, Zusehen und Geschehenlassen sind Formen der Beteiligung“

„Der Anstand hätten es geboten, dass die benannten Verantwortlichen aus eigenem Antrieb Ämter niederlegen und sich an der Wiedergutmachung des Leids der Opfer merkbar beteiligen. Die Verpflichtung zur Konsequenz beginnt nicht erst, wenn dem Einzelnen Überschreitungen des kirchlichen oder staatlichen Rechts nachgewiesen sind. Auch Mitwissen und Schweigen, Zusehen und Geschehenlassen sind Formen der Beteiligung. Sie verpflichten ebenso zur Übernahme einer moralischen Verantwortung“, führt Picken weiter aus. „Wer hier ernsthaft sagt, er sei sich keiner Schuld bewusst, muss sich fragen lassen, wie integer sein Gewissen ist“, so sein Urteil. Auch der Hinweis auf die Entscheidung eines Ranghöheren oder auf den vermeintlichen Willen des Erzbischofs eigne sich nicht als Entschuldigung. „Es ist eindeutig, dass die benannten Verantwortlichen sehr genau wussten, was passiert und in welchem Ausmaß es geschieht“, sagt Picken auch mit Blick auf den ehemaligen Kölner Personalchef und Generalvikar, den heutigen Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Heße.

Klare Konsequenzen sind nötig und Voraussetzung für einen Weg aus der Krise
„Ich fordere die Verantwortlichen auf, ohne Zögern Konsequenzen zu ziehen“

Nach der Klärung durch das vorliegende Gutachten sei zu erwarten, dass alle genannten Personen der Bistumsleitung nun auch persönlich Konsequenzen ergriffen, die sie schon seit längerem hätten ziehen müssen. „Alle benannten Verantwortlichen müssen jetzt ohne weitere Appelle der Öffentlichkeit klare Konsequenzen ziehen. Das sind sie zuerst den Opfern schuldig“, sagt Bonns Stadtdechant. Zudem sei es die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Kirche von Köln die Chance habe, sich wieder aus dieser Krise zu lösen und ihren geistlichen Auftrag zu erfüllen. „Wenn hier jetzt nicht konsequent und glaubwürdig reagiert wird, wird sich die Kirche von Köln von diesem Schaden vermutlich mehrere Generationen nicht mehr erholen. Die Menschen würden uns das nicht nachsehen und das mit Recht!“

Systembedingte Gründe für Vertuschung beheben
„Eine unabhängige Ombuds-, eine starke Interventionsstelle und eine Anlaufstelle für Betroffenenfürsorge sind zwingende Konsequenzen“

„Die Handlungsempfehlungen des vorgelegten Gutachtens sollten umgehend umgesetzt werden, damit eine systembedingte Vertuschung zukünftig verhindert wird“, stellt Picken fest. Dabei sei besonders auf die Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen und die Vereinheitlichung der Rechtsanwendung zu achten. Zentral sei ebenso die Stärkung der Interventionsstelle und ihrer Unabhängigkeit sowie die Einrichtung einer eigenen Anlaufstelle für Betroffenenfürsorge.