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Samstag, 23.Mai 2020:Textimpuls von Winfried Semmler-Koddenbrock

Kein Ende abzusehen
Grosczian
Datum:
23. Mai 2020
Von:
Winfried Semmler-Koddenbrock

Jetzt beschlossene Lockerungen erleichtern unseren Alltag, lassen einige etwas aufatmen und hoffen. Für andere sind Not und Sorgen noch riesig. Insgesamt wird immer deutlicher, dass wir es noch lange mit der Ansteckungsgefahr und mit Vorsicht und Einschränkungen zu tun haben werden. Die Situation belastet uns vermutlich mehr als wir zunächst wahrnehmen. Im Krankenhaus erlebe ich, wie heftig die Auswirkungen der Erkrankung sein können. Aus meiner Sicht sind die Maßnahmen zur Vorsicht unbedingt ernst zu nehmen! 

 

Schon bestehende Belastungen wie z.B. Ängste, Einsamkeit und anderes können durch die Verunsicherung durch Corona verstärkt werden. Das gilt auch für Sorgen von jüngeren oder älteren Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören. Umgekehrt gab es aber auch nicht nur vereinzelt die Erfahrung, dass alte psychische Probleme durch die realen Corona-Probleme relativiert und wie in den Hintergrund gerückt werden (TAZ 15.05.20).

 

Was hilft uns durch Belastungen? Wie sähe Selbstfürsorge aus?

 

·        Es hilft immer, mich auf den heutigen Tag zu konzentrieren. Nur heute ist zu bewältigen, „der morgige Tag wird für sich selber sorgen“ (Mt 6,34). Von der Erfahrung in der Meditation her kann ich sagen: den jetzigen Augenblick leben, einkehren im jetzigen Moment und damit auch bei mir. 

·        Umgang mit meinen Gefühlen, z.B. bei Angst: Ich habe jetzt Angst, aber ich bin nicht meine Angst. Ich bin mehr als meine Angst. Das Gleiche gilt für Sorgen, Ärger, Resignation und auch schöne Gefühle. Gefühle sind schnell wandelbar. Befreien wir sie von dem Gewicht unserer Phantasie, dass unsere Gefühle so bleiben oder sich gar ins Negative steigern. Wir brauchen nur den jetzigen Moment auszuhalten.

·        Immer wieder zum Atem gehen oder beten: Beides ist unsere Nabelschnur zu Gott. Sie verbinden uns mit einer Kraft, die größer ist als wir.

·        Wenn ich in Not bin, kann ich mich auch mit dem Leiden anderer verbinden. Ich kann für bestimmte Menschen oder Gruppen beten. Ich kann mir sagen, ich bin nicht allein mit meinem Leid. Ich kann mein Leid einbringen für eine Wandlung der Welt zu mehr Solidarität und Liebe.

·        Ich kann mir bewusst etwas Gutes tun: etwas Schönes oder Spannendes lesen, in die Natur gehen, mich bewegen, die Sonne auf meiner Haut und Seele spüren, eine Tasse Tee genießen.

·        Ich kann Kontakte suchen trotz der Grenzen: per Telefon, inzwischen dürfen einzelne sich wieder besuchen, mit jemandem spazieren gehen, Selbsthilfegruppen, Telefonseelsorge, therapeutische Hilfe. Damit andere mein Bedürfnis erkennen, muss ich mir oft den Mut nehmen, mich jemandem mit meinem Wunsch zu zeigen.

 

Gehen wir immer wieder in die Schule zu Jesus Christus. Dieser Christus ist auch in uns. Auch er kannte das Dunkel: „Meine Seele ist zu Tode betrübt“ sagt er im Garten Getsemani. „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt 26,38f).

Und er lädt uns ein: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“ (Mt 11,28-30). Je weniger Widerstand wir gegen eine Situation aufbauen, desto eher können wir sie annehmen und desto leichter kommen wir hindurch. Das wünsche ich uns allen.

 

Winfried Semmler-Koddenbrock, Pastoralreferent und Krankenhausseelsorger